Immer mehr junge Menschen wollen selbstständig sein und gründen. Sie eifern großen Idolen und noch größeren Zielen hinterher. Dabei gewinnt die Romantisierung des „Chef sein“ über die kritischen Aspekte des Jobs.

Entrepreneure sind die neuen Rockstars

“Entrepreneure sind die neuen Rockstars”, erzählt Gary Vaynerchuk in seinem täglichen Podcast “The Gary Vee Audio Experience” immer wieder. Weit über 500 Tausend Menschen schalten jeden Tag ein. Vor 15 Jahren wurde der in der Sowjetunion geborene New Yorker wegen seiner Berufswahl noch komisch angeschaut, heute ist er ein Star. Er ist Gründer einer der renommiertesten Digital Agencies New Yorks und der Welt. Heute füllt er ganze Arenen, wenn er über die Zukunft von Marketing und Technologie spricht. Alle seine Bücher über Entrepreneurship, fünf an der Zahl, werden auf Anhieb New York Times Bestseller. Seine Sneaker-Kollaboration mit K-Swiss ist binnen Minuten ausverkauft. Mit Millionen von Followern auf Sozialen Netzwerken beeinflusst er eine neue Generation von Entrepreneuren – und damit ist er lange nicht allein.

So hat Elon Musk, CEO von Tesla und SpaceX, mehr Twitter-Follower, zum 20. Juli 2018 22,2 Millionen, als viele Superstars der Musikbranche. Ein einziger Tweet im Januar reichte ihm um 20.000 Flammenwerfer zu verkaufen. Klatsch und Tratsch über sein Privatleben landet in Boulevard-Zeitungen auf der gleichen Seite wie Justin Bieber. Dieses Jahr wird er in TIME’s 100 List, einer Liste die die 100 einflussreichsten Menschen des Jahres, aufgelistet zwischen Donald Trump und Oprah Winfrey aufgeführt.


(Bild: Conference Public Speaking https://pixabay.com/en/conference-public-speaking-2705706/)

Vom Drahtzieher im Hintergrund zur Person der Öffentlichkeit

Beispiele wie diese lassen sich in allen Branchen der Wirtschaft finden und daher ist es nur logisch, dass Selbstständigkeit im Trend liegt. Es ist cool in seinem Lebenslauf “Gründer” oder “Selbstständig” stehen zu haben. Denn Gründer & CEO’s sind schon lange keine grauen Persönlichkeiten mehr, welche unerkannt die Fäden im Hintergrund ziehen. Ausnahme-Persönlichkeiten gab es z. B. mit Henry Ford und Steve Job schon immer, doch heute kann Jeder seine Geschichten und Ziele durch das Internet und soziale Medien verbreiten. Es ist einfacher als je zuvor eine Person des öffentlichen Lebens zu werden.

Das öffentliche Auftreten dieser Gründer-Personen wird regelrecht gefordert. Wir wollen die Meinungen und Stellungnahmen dieser sozial und ökonomisch wichtigen Personen hören und dementsprechend scheinen die Grenzen zwischen Wirtschaft, Reichtum und dem Berühmt sein zu verschwimmen. So ist eine Persönlichkeit wie Bill Gates nicht nur als Gründer von Microsoft relevant, sondern auch aufgrund seiner philanthropischen Bemühungen durch die Gates-Stiftung und seine Vorträge über soziale Themen. Es sind letztere Bemühungen, die ihn heute immer wieder in das Rampenlicht stellen. Für Außenstehende ist es der Traum von Freiheit, davon seinem Leben Bedeutung zu verleihen und die Welt zu verändern. Aber auch vom großen Geld und viel Aufmerksamkeit für die eigene Person. Das Ziel vieler Silicon Valley Startups ist es zu gründen, 2 Jahre ihrer Zeit zu investieren und dann für große Mengen von Geld an die Big Five (Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft) zu verkaufen. Soziale Medien und Erfolgsgeschichten dieser Entrepreneur-Superstars romantisieren das Dasein als Selbstständiger und lassen genau das einfach aussehen.

Kann das alles noch richtig sein ?

Doch die Realität sieht anders aus. In ihr bleiben Wunderkinder wie Mark Zuckerberg, lange Zeit der jüngste selbstgeschaffene Milliardär der Welt, genau das – Wunderkinder. Sie sind Anomalien in einer Welt voller gescheiterter Versuche und unerfüllter Ziele. Während in Blogs und Biografie Bestseller-Büchern meist die Siege und Erfolge gefeiert werden, so gibt es auch eine ganz andere Seite. Neun von Zehn Startups schaffen es nicht. Gründen bedeutet im Regelfall immensen Konkurrenzdruck, wenig bis keine Bezahlung und die Not erfinderisch zu werden aufgrund dauerhafter Ressourcenknappheit. Es gibt keine sozialen Absicherungen oder riesige Geld- und Ressourcen Speicher wie bei Großkonzernen. Die Romantisierung des Kleinst-Teams, welches gegen Google antritt, vergisst meist die sozialen und finanziellen Einschnitte, die Gründer dafür hinnehmen müssen. Die wenigsten Gründer sprechen gerne über ihre 80 Stunden Arbeitswochen oder die allmonatlichen Schwierigkeiten Angestellte zu bezahlen. Ein Interview mit Ulrike Hudelmaier, Geschäftsführerin der TFU, dem Gründer- und Technologiezentrum der Region Ulm / Neu-Ulm, gibt Einblicke in ein paar Mythen rund um das Gründen.

Frau Hudelmaier, woher kommt ihre persönliche Motivation Neugründern zu helfen?

Damit Gründungen erfolgreich sind, müssen Gründerinnen und Gründer Fehler vermeiden und sich auf ihre Stärken konzentrieren. Dafür braucht es professionelle Hilfe zur Selbsthilfe. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig das gelegentliche Mentoring ist.

Sie kommen tagtäglich mit einer Vielzahl von Startups in Kontakt. Sehen sie Muster, die erfolgreiche, aber auch unerfolgreiche Gründer ausmachen?

Fast alle Startups unterschätzen massive, wie aufreibend, anstrengend und schwierig es ist, ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung, und sei sie auch noch so gut, in den Markt zu bringen. Wer sich intensiv diesem Thema widmet, hat erheblich höhere Chancen. Dabei sind Kooperationen hilfreich, Netzwerke, überhaupt Hilfe, ein paar Türen aufzumachen. Kein Startup muss schon von Anfang an alles selbst können, aber um die Wichtigkeit dieses Themas müssen sie wissen.

Frau Hudelmaier bestätigt die Probleme, die beim Gründen aufkommen. Doch die Gründergemeinschaft wächst, auch in Ulm & Neu-Ulm. Die Büros und Biotechnologie-Labore der TFU sind ausgelastet und es werden immer mehr Initiativen gegründet um jungen Menschen das Gründen näher zu bringen. So sind in der TFU aktuell über 55 Firmen aus Ulm und Umgebung auf 8000mansässig. Hinzu kommen in der Region Ulm/Neu-Ulm diverse Angebote der IHK Ulm und der Staaten Baden-Württemberg und Bayern.

Der Staat Baden-Württemberg unterstützt die aktuell 1,53 Prozent Gründer der 18- bis 64-jährigen im Staat mit zahlreichen Anlaufstellen für Förderungsprogramme, Beratungen und Gründerkredite und Veranstaltungen zum Austausch mit potentiellen Investoren und Mitarbeitern. Ein Gespräch mit Mahir Yildrim, dem Ulmer Gründer der foundea GmbH und Nutzer der TFU-Räumlichkeiten, gibt einen tieferen Einblick in das Thema Gründen.

Herr Yildrim, sie sind mehrfacher Gründer und leiten aktuell unter anderen foundea.com, eine Firma welche Digitale Strategien und moderne Webseiten erstellt. Wie hat sich ihre Sicht auf die Selbstständigkeit im Laufe der Jahre gewandelt?

„Als Gründer muss man immer am Ball bleiben. Der Kontext ändert sich schnell – sei es, dass es neue Konkurrenz gibt, die ähnliches anbieten oder es gibt innovative Produkte, die man ins Portfolio integriert. Es gibt kaum einen Job bei dem man sie viel lernt wie bei einer Selbständigkeit. Am besten gründet man im Team und hat bereits erste Kunden oder ein funktionierendes Minimal Viable Product bevor man das große Risiko der Selbstständigkeit eingeht
(Das Minimum Viable Product (MVP) ist die erste Iteration eines Produkts, dass die minimalen Bedürfnisse seiner Kunden bedient und Feedback für weiterführende Entwicklung ermöglicht.)

Würden sie mit ihrem heutigen Wissen wieder gründen und es anderen empfehlen?

„Wenn man eine gute Idee hat, idealerweise ein gutes Team und ein funktionierendes Minimum Viable Product, dann sollte man es auf jeden Fall probieren. Ich bereue die Entscheidung nicht und ich kann mich als Gründer an vielen Fronten ausprobieren und so dazu lernen.“

Was für ein Schlag Mensch muss man sein um erfolgreicher Gründer zu werden 

„Als Gründer muss man den Spagat beherrschen zwischen Fokus und auf Feedback der anderen zu hören. Es gibt verschiedene Typen von Gründern, die alle je nach Business ihre Wichtigkeit haben: wie beispielsweise den Experten, das Arbeitstier oder den Sales-Menschen. Man sollte seine Stärken und Schwächen kennen und die Schwächen im Team ausgleichen.“

Die Trendwende im Gründen

Die Herausforderungen werden mit immer schnelleren Innovationszyklen immer größer für Gründer. Es reicht nichtmehr nur ein gutes Produkt zu haben. Branding, intelligentes Marketing, Vertrieb und gesellschaftliche Stellungnahmen spielen eine große Rolle. Jedem angehenden Gründer werden die Schwierigkeiten des Gründens sehr schnell klar und das schlägt sich auch in den erhobenen Statistiken der KPMG AG für den Bundesverband Deutsche Startups e. V. wieder. Nach diesen fielen die Zahlen der Neugründungen und Nebenerwerbstätigkeiten von 2001 bis 2007 von 2,9 Prozent auf 1,7 Prozent und schwanken seitdem zwischen 1,3-1,8 Prozent, aufgrund des anhaltenden Beschäftigungsrekordes. Gleichzeitig ist eine Trendwende im Motiv des Gründens zu sehen. So stieg die Zahl der „Chancengründer“, jener die gründen, weil sie eine Chance sehen und die Zahl der „Notgründer“, also Gründern aus der Not heraus, fielen. Diese Entwicklung macht die nächsten Jahre sehr interessant und korreliert damit, dass Selbstständigkeit im Trend liegt. Aufgrund der verstärkten Förderung von Gründern durch den Staat und private Initiativen darf man gespannt bleiben.

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Ein Beitrag von Tim Hoffmann

Quellen:
https://www.fuer-gruender.de/beratung/links-und-adressen/gruenden-in/baden-wuerttemberg/
https://vaynermedia.com
https://www.forbes.com/consent/?toURL=https://www.forbes.com/sites/kurtbadenhausen/2018/05/23/the-worlds-most-valuable-brands-2018/http://interbrand.com/best-brands/best-global-brands/2017/ranking/
https://www.keynotes.org/speaker/BillGates
https://givingpledge.org
https://www.gruenderwoche.de/fileadmin/gew/downloads/ueber-gruenderwoche/rkw-gruendungszahlen_deutschland_2015.pdf
http://deutscherstartupmonitor.de/fileadmin/dsm/dsm-17/daten/dsm_2017.pdf

Bilder:
https://pixabay.com/en/adult-break-business-caucasian-2449725/
https://pixabay.com/en/conference-public-speaking-2705706/